Christoph Schwabe
Alter über Alter
Gedanken über das Altsein
Land und Leute. Texte und Bilder aus dem sächsisch-thüringischen Kulturkreis. Band 19
176 Seiten, 17 x 20 cm, broschiert
zahlr. Zeichnungen
ISBN 978-3-933358-78-3
Preis: 12,50 € (D)
Alter über Alter
Gedanken über das Altsein
„Was, in Ihrem Alter sind Sie noch so aktiv?“ So etwas hinterlässt bei mir den Eindruck, dass Aktivsein in „so einem Alter“ gegen die Regeln und guten Sitten verstoßen muss und eigentlich unpassend ist.
Solche Gedanken darf ich aber nicht öffentlich äußern, schon gar nicht bei Jüngeren, weil das dann als undankbar erlebt werden kann und weil ich eigentlich verkenne, dass mit der Frage nach der Aktivität ja auch eine gewisse Hochachtung ausgesprochen werden soll.
Aber selbst, wenn das mit der Hochachtung stimmt, was soll denn da Hochachtung für etwas, was ich als lebensnotwendig und selbstverständlich ansehe. Und hinter dieser Hochachtung steckt ja doch die Meinung, dass „dieses Alter“ eher „Feierabend“ zu sein hat, wo man sich allenfalls über Gebrechen austauschen kann, aber doch nicht Aktivität entwickeln sollte, die doch viel mehr und eher den Jüngeren zusteht.
Da denke ich an den Bibelspruch, der beginnt mit den Worten: „Unser Leben währet und dann kommen Zahlen 60, 70, 80 Jahre. Das Ganze endet bekanntlich mit dem Satz: „Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“
Als ich als Junge diesen Satz im Kindergottesdienst zum ersten Male hörte, dachte ich, dass das der reinste Hohn auf das Alter sei — in unserer Nachbarschaft gab es ein sogenanntes „Feierabendheim“, der eigentliche und angemessene Ort für Alte. Und weiter dachte ich, dieser Satz von der Köstlichkeit von „Mühe und Arbeit“ entspricht sicher den Sprüchen, die wir damals in der Schule lernen mussten. Da bekamen wir Marxismus-Leninismus eingetrichtert und erfuhren, was „kapitalistische Ausbeutung“ sei. Diese Ausbeutung gab es — so mein Verständnis damals also schon in der Bibel und dort gab es die Ausbeutung bis ins hohe Alter und wurde noch verziert durch „tröstlichen Beigeschmack“, so mit dem Begriff „köstlich“. Wie kann man sich irren! Denn es ist tatsächlich „ein köstlich Ding“, tätig sein zu können bis das Herz aufhört zu schlagen.
Altwerden und immer älter werden, das ist in der Tat kein lustiger Spaziergang, sondern vielgestaltige Schwerstarbeit, auf die einen keiner vorher so richtig vorbereiten kann. Das ist so trotz all der schönen Empfehlungen und Sprüche in Zeitungsbeilagen zum Sonntag oder Apothekenzeitschriften und anderen Blättern mit wunderschönen Bildern von strahlenden vollbusigen Frauen in den Armen sportlicher Herren mit weißen Schläfen, beide mit blendend weißen (dritten) Zähnen, die umgeben sind von Freude in strahlend glatten Gesichtszügen.
Wenn „Mühe und Arbeit“ das „Köstliche“ ist, dann trifft das voll und ganz zu, weil Mühe und Arbeit so gut wie die einzigen wirklich wirksamen Gegenkräfte sind, die einem helfen, mit den seelischen und körperlichen Unbilden des Alters fertig zu werden. Da handelt es sich um Unbilden, die aus einem selbst hochsteigen, die einem der eigene Körper bereiten kann und die sich aus den schwieriger werdenden Kontakten nach außen ergeben.
Davon und von vielem mehr soll hier berichtet werden, wenn ein Alter sich über das Alter äußert. (aus: „Anlass“, Christoph Schwabe)
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