Christoph Schwabe
Neue Schmiedegeschichten
1737 – 1977 – 2007
Geschichten und Bilder aus meinem Dorf
Land und Leute. Texte und Bilder aus dem sächsisch-thüringischen Kulturkreis. Band 12
108 Seiten, 17 x 20 cm, broschiert
Mit Zeichnungen von Christoph Schwabe
ISBN 978-3-933358-71-4
Preis: 10,00 € (D)
Neue Schmiedegeschichten
Der Mai vor dreißig Jahren war der Monat, in dem ich zum ersten Mal mit der Dorfschmiedenruine von Vollmershain Bekanntschaft machte, und im selbigen Monat war dieses Anwesen mein. Ich glaube, so schnell geht das heutigentags wohl nicht mehr.
Aber es war Liebe auf den ersten Blick, und Liebe macht blind, wie wir (fast) alle nicht nur von der Sprichwortweisheit her, sondern aus eigenen Erfahrungen wissen. Besser sage ich: Liebe hat ein Nachsehen mit den schwächen des geliebten Wesens, egal, ob das eine Frau oder eben eine Schmiede ist.
Hätte ich damals nicht die Schwäche gehabt, die „Schwächen“ meiner Geliebten zu übersehen, dann wäre es wohl auch so gekommen, wie es vielen, die sich mit der Schmiederuine beschäftigt hatten, ergangen ist: Die Vernunft bekam bei ihnen das Übergewicht und verhinderte die Kontaktnahme. Aber bei mir hatte es eingeschlagen, und so begab ich mich in eine Bindung, die nun bereits dreißig Jahre Bestand hat.
Die Grenzen zwischen den beiden „Blöcken“ wurden immer dichter, Kontakte immer schwieriger. Man hatte zunehmend das Gefühl der Luftnot. Und das konnte man in Leipzig nicht nur politisch sagen, sondern unmittelbar konkret erleben. Leipzig war umgeben von umweltverpestender Chemie, und der Gestank, vor allem hervorgerufen durch die Braunkohleverarbeitung in Böhlen und Espenhain, war an den meisten Tagen und Nächten unerträglich geworden. Ich spürte eine sich immer mehr verdichtende und beängstigende Trauer und Ausweglosigkeit.
So war das Schmiedeabenteuer wie ein Sprungversuch heraus aus dieser Enge. Es war zunächst die Bekanntschaft mit einer ganz anderen Welt. Die Natur wurde zwar schon reichlich durch die Großraumwirtschaft der Agrargenossenschaften zerstört. Aber es gab saubere Luft, und es gab ganz andere menschliche Begegnungen, die mir zunächst romantisch verklärt erschienen.
Ich erlebte so etwas wie einen Urkommunismus: Man half sich gegenseitig und nahm Anteil aneinander. Dass das Dorfleben mit seinen, für den Städter häufig fremden Gesetzen, auch seine Schattenseiten hat, die gar nichts mit Romantik, sondern mit Enge zu tun haben, das lernte ich erst später kennen.
Für mich begann ein neuer Lebensabschnitt, und wenn ich die wichtigsten Inhalte dieser neuen Zeit verkürzt zusammenfasse, dann ist das eine unmittelbare und im wahrsten Sinne des Wortes handgreiflich gewordene neue Beziehung zur Natur, eine anfängliche Verengung, dann aber im Laufe der Jahre zunehmende Erweiterung meines territorialen und kulturellen Lebensraums, nicht mehr nur beschränkt auf eine Stadt, sondern bezogen auf die beiden Länder Sachsen und Thüringen, eine zunehmende Loslösung von beruflich bürokratischen Abhängigkeiten, die verbunden ist mit einer Steigerung von Kreativität und Produktivität, die vordem nicht vorstellbar war.
Auch hätte ich mir damals nicht vorstellen können, dass die Schmiede einmal mein Hauptlebensort werden wird; aber das ist sie inzwischen geworden. Und ich bin immer mehr dabei, diese Lebensentscheidung, bei allen damit verbundenen Einschränkungen, innerlich anzunehmen und zu sagen: Das ist eben mein Leben.
(Christoph Schwabe)
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